(20.09.2012, 06:35)Niceyard schrieb: [ -> ]Diese Skala von Stress finde ich interessant. Sehr interessant.
Die Motive finde ich auch eine gute Idee.
Allerdings kommt mir die strikte Trennung von Motiven etwas restriktiv vor.
Kann man mit Motiven nicht andere kompensieren?
Kann man. Hier einige Beispiele:
- Bei einem Kampf kannst du das Leistungsmotiv oder das Machtmotiv aktivieren. Das Leistungsmotiv bezieht sich auf dein Bemühen, deine Sache gut zu machen. Das Machtmotiv bezieht sich auf das Bestreben, als Sieger hervorzugehen. Der Unterschied offenbart sich erst nach dem Ausgang des Kampfes. Als Leistungsmotivierter freust du dich über deine Leistung, die Unterwerfung deines Gegners ist dir egal (kann für Folgesituationen wichtig werden). Als Machtmotivierter stellst du nach dem Sieg die neuen Verhältnisse eindeutig klar. Du bist der Boss, der Verlierer hat dir zu gehorchen. Wenn Macht auf Macht trifft, werden so besonders klar die Hierarchieverhältnisse geklärt. Zwei Leistungsmotiverte folgern aus dem Kampf keine Hierarchieverschiebungen. Sie gratulieren einander zur Leistung und sonst bleibt alles beim Alten. Das wird besonders fies, wenn du als L-Motivierter einen höhergestellten M-Motivierten im Trainingskampf besiegst. Der M-Motivierte versteht das nämlich als Angriff auf seinen Rang (während du das in Wirklichkeit gar nicht im Sinn hattest) und könnte dich fortan trietzen, um klarzumachen, dass er weiterhin den höheren Rang hat.
- Für gute Atmosphäre in der Kneipe kann man das Anschlussmotiv oder das Machtmotiv (Begeistern) nutzen. Der Unterschied liegt darin, dass Anschluss nichts mit Hierarchie zu tun haben will, während Macht auf Hierarchie getrimmt ist. Der Anschlussmotivierte verbreitet gute Stimmung, ohne sich selbst damit zu erheben oder sich Vorteile dadurch zu verschaffen. Der Machtmotivierte verbreitet gute Stimmung als Zweckhandlung, um irgendein persönliches Interesse zu bedienen - das muss auch deutlich werden. Wenn ich in der Kneipe Macht Begeistern aktiviere, um zu guter Stimmung beizutragen, muss ich ansagen, welches persönliche Interesse ich damit verfolge. Das könnte zum Beispiel sein, sich mit den Kneipentypen gut zu stellen, weil man ihre Unterstützung bald brauchen könnte.
- Im Konflikt kann man das Machtmotiv oder das Freiheitsmotiv einsetzen. Mit dem Freiheitsmotiv kann man sich jedoch nur verteidigen. Beides gibt Bonus. Der Unterschied ist, dass der Machtmotivierte nach Ausgang des Konflikts entweder bestimmen kann oder sich den Anweisungen des Siegers
fügen muss. Der Freiheitsmotiverte kann nur verhindern, sich fügen zu müssen, wenn er den Konflikt gewinnt - sein Stursinn hat sich durchgesetzt. Wenn er verliert, muss er sich zurückziehen, was im Grunde genommen bedeutet, dass er seine Position in der Hierarchie aufgibt. Da er Befehle verweigert, wenn sie ihm nicht passen, ist er für Vorgesetzte nicht tragbar und muss damit rechnen, bei der nächstbesten Gelegenheit ersetzt zu werden.
Ist deine Frage damit zufrieden beantwortet? Man kann die gleiche Situation aus verschiedenen Motivlagen heraus angehen. Von außen gesehen können die Unterschiede subtil erscheinen. Die Unterschiede offenbaren sich manchmal erst zeitversetzt.
(20.09.2012, 06:35)Niceyard schrieb: [ -> ]Woher stammen Anschluss, Leistung, Macht und Freiheit? Hast du das von einer psychologischen oder soziologischen Theorie rausgezogen? Wenn ja: Welche?
Das ist die übliche psychologische Motivlehre. In Fachkreisen seit den 40ern des letzten Jahrhunderts intensiv erforscht, außerhalb des Wissenschafsbetriebs aber mit wenig Aufmerksamkeit bedacht. Bei Interesse suche nach "impliziten Motiven". Im englischen ist McClelland eine Koryphäe. Auch mehrere deutsche Forschergruppen arbeiten heute mit impliziten Motiven. Ich bin persönlich in die Gang von Julius Kuhl involviert, der mit David Scheffer (Buchtitel "Implizite Motive") viel Forschung betrieben hat. Das Freiheitsmotiv ist eine Ergänzung aus der Kuhlgruppe, klassisch sind die anderen drei Motive.
(20.09.2012, 06:35)Niceyard schrieb: [ -> ]Die Zeitmaßeinheit Spielrunde finde ich nicht zielführend.
Einen Inplay-Zeitabschnitt (z.B. 1 Woche) fände ich besser.
Spielrunden können ja wirklich mal sehr kurz oder sehr lang dauern.
Je nach dem wie kurz eine dauert und je nach dem wieviele Spieler mit wievielen Motiven teilnehmen, könnte es mit der Aktivierung echt eng werden - bzw. nicht bei den Charakteren sondern bei den Spielern in echten Stress ausarten.
Probier es mit Inplay-Zeit aus. Spielrunde als Zeiteinheit ist eine Notlösung. Inplay-Zeitabschnitte haben das Problem, dass sie nicht mit konstanter Spielzeit behandelt werden. Ein Monat kann in zwei Minuten abgehandelt werden ("Ihr reist also ohne besondere Vorfälle..."), eine Stunde kann drei Stunden Spielzeit beanspruchen. Keine Ahnung, was der bessere Kompromiss ist. Ich bin für beides offen. Es könnte interessant sein, dass abgekürzte Inplay-Zeitabschnitte auf die Motivbefriedigung reduziert werden. Daraus können sich interessante Geschichten ergeben, die man sonst einfach übersehen hätte. Was macht z.B. der stark Konfliktmotiverte Krieger als Passagier auf einer langen Schiffsreise? Er wird sich ein paar mal zoffen, seine Gruppe womöglich in Schwierigkeiten bringen. Der Anschlussmotivierte könnte mit seinem Motiv zur Streitschlichtung beitragen. Oder er knüpft neue Kontakte während der Reise (wir erinnern uns: Kontakte sind wertvoll!). Der Leistungsmotivierte könnte seinen Antrieb in das Erlernen der Matrosenarbeit kanalisieren und lernt im Verlauf der Reise eine neue Fertigkeit. Während ich das schreibe, klingt es nach einer wirklich spannenden Umsetzung.
Die zusammengefasste Reise wird nicht im Detail ausgespielt, sondern auf das Wesentliche reduziert. Und das hat Folgen für den späteren Spielverlauf (neue Freundschaften/Feindschaften/Fertigkeiten).
Wenn die Muss-Aktivierung trotzdem in Stress ausartet, kann es dafür zwei Gründe geben:
1. Der Spieler hat sich unpassende oder zu viele Motive aufgeladen und kommt damit nicht zurecht. Selbst schuld, die Motive sind kein Hartholzharnisch! Korrektur liegt bei einem selbst, indem die Motivauswahl passend gemacht wird. Man muss nicht in allen vier Motiven spezialisiert sein. Viellecht reicht eine Spezialisierung und ein zusätzliches Basismotiv?
2. Das System läuft als solches nicht rund. Dann müssen natürlich Alternativen ausprobiert werden. Wenn sich das als Grund erweist, bin ich für alle Alternativvorschläge offen!
(20.09.2012, 06:35)Niceyard schrieb: [ -> ]Ein weiterer Punkt, den ich fragwürdig finde, ist die Art von Spiel, die sich dann daraus ergibt. Wie soll das im Spiel ablaufen? Sagt dann ein Spieler mit Anschlussmotiv zu Beginn der Runde 'Ich besuch jetzt mal meine Oma und wir gehen einen Nachmittag in den Zoo.' und er macht dann ein Kreuzlein beim Kästchen Anschluss auf dem Charakterbogen, damit man weiß, dass er keinen Stresspunkt bekommt? Werden irgendwelche Glasperlen hin- und hergeschoben?
Reicht der Hinweis auf die Aktivierung (was ich ein bisschen aufgesetzt fände) oder soll das dann irgendwie ausgespielt werden (was ich langweilig fände)?
Das kann man so machen. Wenn das regelmäßig passiert, dürfte der Spieler feststellen, dass er das Anschlussmotiv umsonst gewählt hat. Dann ist eine Korrektur angebracht. Motive holt man sich nicht auf Vorrat, um sie mal in seltenen Fällen parat zu haben. Dafür sind sie nicht konzipiert. Man holt sich Motive für den Lebens- und Tätigkeitsbereich, der für den Charakter zentral ist. Gehen wir nicht davon aus, dass sich Spieler wie in deinem Negativbeispiel absichtlich doff stellen. Wenn ich die Gruppenmutti spielen will, nehme ich mir das Anschlussmotiv. Dann sorge ich für die Gruppenmitglieder, suche Gespräche mit ihnen usw. Alles Dinge, die im Sinne des Charakterkonzepts sind, so dass man keine künstlichen Situationen kreieren muss, um Stress zu vermeiden. Davon abgesehen ist Stress kein Weltuntergang. Gibt ja Mittel, ihn zu beseitigen.
(20.09.2012, 06:35)Niceyard schrieb: [ -> ]Also die Frage, die mich letztendlich umtreibt ist: Was soll die ganze Motivbefriedigung?
- man vermeidet damit Stress?
- man bekommt Bonus-Punkte für andere, wichtige Spielsituationen?
- man hat Spaß daran die Motive im Spiel zu befriedigen?
Ich weiß nicht genau, ob ich das überhaupt richtig umrissen habe, wozu das dient.
- der Charakter bekommt einen zielgerichteten Antrieb, eine Motivation (die sich nicht in jede beliebige Richtung wendet, wie man das von seelenlosen Chars kennt), der Char bekommt ein Profil
- man bekommt Bonuspunkte, wenn man im Sinne der Charaktermotivation handelt
- die Stresspunkte bzw. ihre Vermeidung dienen lediglich dazu, ein konsequentes Charakterspiel auch regelseitig zu fördern. Erzwingen lässt sich das nicht. Wer sich alle Motive wegen der Boni spezialisiert und dann in jeder Runde blöde Situationen für die nicht "verbrauchten" Motive konstruieren muss, hat zum falschen Regelwerk gegriffen. Ich gehe davon aus, dass die Spieler mit dem Regelwerk spielen wollen und nicht dagegen.
(20.09.2012, 06:35)Niceyard schrieb: [ -> ]Was mir auch nicht ganz klar ist, ist die Aktivierung von Motiven durch andere Spieler.
Muss man dann nochmal seine Oma besuchen? Oder hat das mit der Oma gar nichts zu tun?
Das hat mit der Oma nichts zu tun. Man kann einen Spieler nicht auffordern, eine motivkongruente Situation
aufzusuchen. Aber wenn der Spieler in einer Situation ist, die genau seiner Motivlage entspricht, kann man sein Motiv aktivieren.
Spielen wir das am Omabeispiel durch: Der anschlussmotivierte Char wurde von der Gruppe zu seiner Oma geschickt, weil sich in ihrem Haus wichtiges Material befindet, das er zügig holen soll.
- Hallo Oma.
- Hallo Enkel. Wie geht es dir? Hab dich lange nicht gesehen.
- Gut, gut. Ich muss schnell weiter, Oma.
[Ein Mitspieler aktiviert das Anschlussmotiv Gemeinschaft, weil es zur Situation passt]
- Ja ja, für mich hast du nie Zeit...
Jetzt hat der Spieler zwei Möglichkeiten:
1. - Och Oma, sag nicht sowas. *umarm* Ich habe dich doch lieb. Bla bla. Der Auftrag ist um das "zügig" schlanker geworden.
2. - Sorry Oma, ich habe wirklich keine Zeit! Hier ist ein Willenspunkt, mit dem ich dem Motiv widerstehe. Der Auftrag kann zügig ausgeführt werden, aber der Char kassiert einen (oder zwei) Stresspunkte, weil das Motiv ihn zur Unterhaltung gedrängt hat. Schuldgefühle plagen ihn. Außerdem hätte er wirklich gern mit der Oma geplaudert und hat sich das verboten.