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Das "andere" Rollenspiel
#8
Hierarchien organisieren jeden Teilbereich des menschlichen Miteinander. Die Neigung zur Hierarchiebildung ist sehr alt, wir teilen sie mit großen Teilen des Tierreichs. Hierarchien wirken konfliktmindernd, das ist ihre Hauptfunktion. Wenn Ressourcen knapp sind, entscheidet die Hierarchie darüber, wer als erster darf, wer die besten Stücke bekommt, wer mehr bekommt und wer sich mit den Resten begnügen muss.

Rollenspiele klammern diesen Aspekt komplett aus. Warum eigentlich? Als mögliche Erklärung fällt mir nur die Parallele zum Trickstermythos ein. Trickster beinhalten das Paradox, einerseits übermächtig zu sein, andererseits aber in der sozialen Hierarchie bedeutungslos zu sein. Das ist typisch für Rollenspielhelden. Genug Ressourcen am Leib, um König zu werden, aber im Endeffekt nur für sich selbst verantwortlich und alle darüber hinausgehende Verantwortung hilflos ablehnend. Aber gut, die Ursachenanalyse ist auch nicht so wichtig. Sie zeigt auf, von welchem Zustand ich das "andere" Rollenspiel distanzieren möchte.

Die Hierarchien sollen eindeutig verregelt werden. Das ist nicht so einfach, weil es nicht die eine Hierarchie gibt. Man kann in der Fußballmannschaft ganz oben stehen und Kapitän sein, in der Familie irgendwo im Mittelfeld stecken und auf der Arbeit ein unbedeutender Knilch sein, auf dem alle herumtreten. Es müssen also die relevanten Lebensbereiche identifiziert werden, die man dann auch verregelt. Im Mittelaltersetting können das sein: Politik, Religion, Militär, Familie.

Am einfachsten ist das Militär zu beschreiben, hier wird auch der größte Wert auf die Befolgung der offiziellen Hierarchie gelegt. Nehmen wir das als Beispiel und erstellen eine Hierarchieleiter:
General
Major
Hauptmann
Feldwebel
Gefreiter

Im Beispiel sind fünf Stufen. Wie viele Stufen braucht man aber? Das ist nicht beliebig. Der Fachterminus heißt "Leitungsspanne" und beschreibt die Anzahl der unmittelbar Unterstellten eines Vorgesetzten. Gehen wir zunächst von einer Leitungsspanne von 10 aus. Das bedeutet, dass ein Vorgesetzter 10 Untergebene vernünftig händeln kann. Unser General hat also 10 Majore, diese haben je 10 Hauptmänner usw. Damit kommen wir auf eine Armee von 10.000 Mann. Wenn unsere Armee größer oder kleiner sein soll, ändert sich entsprechend die Anzahl der Hierarchiestufen.

Eine naheliegende Frage lautet, ob 10 ein gutes Maß für die Leitungsspanne ist. Als Ausgangswert schon, aber in der Praxis gibt es natürlich größere und kleinere.

Kleine Leitungsspannen (z.B. nur 5 Untergebene pro Vorgesetztem) führen zu tiefen Hierarchiebäumen mit mehr Stufen. Eine solche Organisation ist bürokratisch, träge, langsam. Der Informationsverlust ist groß. Wenn sich jemand an der Basis beschwert und die Beschwerde über 20 Instanzen gehen muss, kommt - nach dem Prinzip der stillen Post - oben irgendwas an, nur nicht die ursprüngliche Beschwerde. Der Vorteil kleiner Leitungsspannen liegt in der geringeren Verantwortung für den Einzelnen. Im Zweifelsfall muss man nicht selbst entscheiden, sondern delegiert die Entscheidung nach oben oder unten ab.

Wählt man für eine Organisation eine kleine Leitungsspanne (und damit eine tiefe Hierarchie), dann bildet man ein stark strukturiertes, stark organisiertes, aber auch ein träges System ab. In der Regel handelt es sich um Organisationen, die seit sehr langer Zeit bestehen. Nehmen wir bei unserem Armeebeispiel die römische Armee.

Große Leitungsspannen (z.B. 20 Untergebene pro Vorgesetztem) führen zu flachen Hierarchien. Die Organisation ist schnell, flexibel, die Informationswege sind kurz, der Informationsverlust gering. Der Chef kann jedoch pro Untergebenem weniger Zeit für die Kontrolle aufwenden. Das bedeutet, dass die Untergebenen mehr Verantwortung tragen. Sie müssen selbst entscheiden und können nicht jedes Problem mit dem Chef besprechen. Der Chef muss seinen Leuten blind vertrauen können, weil er sie kaum kontrollieren kann. Im Armeebeispiel können das die germanischen Barbarenhorden sein.

Ich glaube, man muss kein großer Experte werden, um die Grundsätze dieses Modells zu verinnerlichen. Eine bürokratische, perfekt durchorganisierte Barbarenarmee kommt uns schon rein intuitiv nicht in die Tüte. Die sind chaotisch und unberechenbar. Eine flache Hierarchiestruktur verleiht dieser Tatsache Rechnung. Bei der römischen Armee wiederum können wir uns keine Chaostruppe vorstellen. Wo aber viel Ordnung ist, muss auch eine dichte Hierarchie sein.

Zusammenfassend:
Kontrollorganisation: kleine Leitungsspanne, tiefe Hierarchie
Vertrauensorganisation: große Leitungsspanne, flache Hierarchie
Mit der Wahl der Leitungsspanne bestimmen wir als Designer den Auftritt ganzer Organisationen. Indem wir nur eine einzige Zahl festlegen!

Das bisher besprochene erlaubt die Einschätzung aus der Vogelperspektive. Damit können wir als Designer die Struktur ganzer Organisationen bestimmen. Wir gestalten damit das Setting. Daneben brauchen wir Werkzeuge für die persönliche Ebene, um konkrete SCs/NSCs zu gestalten. Ich habe das im Blickfeld, das kommt in einem der späteren Beiträge.

Zunächst ein weiteres Beispiel. Strukturieren wir mal ein Dorf durch. Eine Familie hat 5-8 Mitglieder. Vater, Mutter und ihre 3-6 Blagen. Vater ist der Chef. Seine Leitungsspanne: <8.
Der Großvater steht an der Spitze der Großfamilie. Er gibt sich aber in dorfpolitischen Fragen nur mit seinen Söhnen ab. Die Großväter bilden zusammen den Ältestenrat. Sind es mehr als 8, dann können wir im Ältestenrat einen Vorsitzenden bestimmen, der gesondert die Spitze des Eisbergs darstellt.

Somit haben wir im Dorf drei bis vier Hierarchiestufen.
- Der Dorfälteste repräsentiert das ganze Dorf.
- Die Großväter vertreten ihre Großfamilien im Ältestenrat.
- Die Väter vertreten ihre Familien in der Großfamilie.
- Frauen und Kinder stehen in der Hierarchie unten (sind deswegen aber keineswegs machtlos! Das wird Gegenstand weiterer Regeln sein).
8 Älteste x 3 Söhne x 6 Familienmitglieder = 144 Dorfbewohner. Ist das grob geschätzt ein vernünftiges mittelalterliches Dorf? Mit den Großvätern und Vätern ergeben sich aus der Hierarchiestruktur direkt die wichtigen Ansprechpartner. Man muss also keineswegs alle Dorfbewohner ausarbeiten, wenn man ein NSC-Dorf vorbereitet. Wenn die SCs als Fremde ins Dorf kommen, werden sie als hochrangige Menschen mit den Dorfältesten zu tun haben; als Durchreisende mit ein paar der Vätern, die als Schmied/Wirt tätig sind.

Das Auszuarbeitende Umfeld hängt grundsätzlich von der Position der involvierten SCs ab. Das Umfeld umfasst immer drei Hierarchieebenen:
- Der Vorgesetzte
- Kollegen der gleichen Ebene
- Untergebene

Nach oben buckeln, nach unten treten - da ist selten Spannung zu erwarten. Das Groß der Konflikte spielt sich auf der Ebene ab, auf der sich der SC selbst befindet. Die 7 Herzöge des Königs konkurrieren untereinander unablässig um die Gunst des Königs. Sie kämpfen dabei miteinander, also auf ihrer eigenen Hierarchieebene.

Seltener, aber nicht minder spannend sind ebenenübergreifende Konflikte. Es kommt nicht alle Tage vor, dass ein Herzog sich entschließt, seinen König zu entmachten und dessen Position einzunehmen. Aber wenn er sich dazu entschließt, kann man daraus eine ganze Kampagne machen.
Hin und wieder wird der Herzog von unten angegriffen, von einem seiner Grafen. Das sind aber ebenso seltene Fälle. Im Normalfall versucht man gar nicht den Oberen zu entmachten, weil der Obere nicht zufällig oben ist, sondern weil er über mehr/bessere Ressourcen verfügt. Wenn ein Herzog putscht, kann der König im Normalfall auf alle anderen Herzöge als unterstützende Ressource zurückgreifen. Der putschende Herzog muss also schon unrealistisch mächtig sein. Realistischer ist, dass er die anderen Herzöge für sich zu gewinnen versucht. Was wiederum bedeutet, dass er auf seiner eigenen Hierarchieebene tätig wird.

Man merkt schon, irgendwelche Barone und Ritter spielen eine sehr untergeordnete oder gar keine Rolle, wenn die Spieler als Herzog (+Gefolge) unterwegs sind. Im Fokus steht eindeutig und massiv die eigene Hierarchieebene. Bei einer Leitungsspanne von 10 sind es 10 Konkurrenten/Kollegen, um die sich das Spiel dreht. Der Vorgesetzte kommt dazu. Diese Übersichtlichkeit bleibt bestehen, egal was man im Spiel vorhat. Ob als Familienvater, als Dorfältester, als Bischof, als Hauptmann, als Herzog oder als König. Die Hierarchieregeln ziehen stets eine sehr enge Grenze von spielrelevanten NSCs.
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Das "andere" Rollenspiel - von Beral - 03.01.2012, 18:05
RE: Das "andere" Rollenspiel - von Niceyard - 04.01.2012, 03:22
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