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Wird Freiheit überbewertet?
#1
Bereits vor einiger Zeit habe ich in einer Computerspielezeitschrift ein Interview mit einem großen Spieledesigner gelesen, der für die Stories mehrerer international erfolgreicher Computerspiele verantwortlich war. Er vertritt seit langem die Ansicht, dass Open World und ultimative Freiheit bei der Charakterwahl einer guten Geschichte nicht nur nicht zuträglich, sondern in einigen Fällen sogar schädlich sind (als konkrete Negativbeispiel nannte er dabei die GTA-Reihe und The Elder Scrolls, die abgesehen von extremer Handlungsfreiheit keinerlei ausgefeilte Story zu bieten hätten). Er befürwortet klare Grenzen des Settings und Einschränkungen bei den Freiheiten der Spieler, wenn die Geschichte dadurch gut wird.

Tatsächlich habe ich auch im Rollenspiel mit verschiedenen Systemen, unterschiedlichen Gruppen und auf beiden Seiten des Schirms beim Sandbox-Spielen bereits mehrfach das erlebt, was mir bei Open-World-Computerspielen massiv missfallen hat und weshalb ich diese kaum noch anfasse: es werden viele Handlungsstränge angebrochen aber keiner sauber zu Ende geführt, die Spieler verzetteln sich laufend und der Spielleiter ist nicht vernünftig vorbereitet, weil er nicht abschätzen kann was die Spieler als nächstes anstellen.

Kommt es mir nur so vor, oder sind Einschränkungen der Handlungsfreiheit der Spieler bis hin zur ein oder anderen Bahnfahrt mit Umsteigebahnhöfen wirklich zielführender für eine saubere Story und einen flüssigen Spielfluss, als es das Spielen in Sandboxen jemals sein kann?

Eine Anmerkung noch dazu: "Einschränkung" meint keine Settinggrenzen, sondern wirklich die Handlungsfreiheit der Spieler. Dass es in einem historisch korrekten Setting über die Kreuzzüge keine vercyberten Straßensamurais gibt und bei Shadowrun keine Konditoren gespielt werden, fällt also nicht darunter.
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#2
Ich glaube auch, das man als Spielleiter die Auswahlmöglichkeiten seiner Spieler beschneiden sollte.

Ich habe nach zig Jahren in Leitungsfunktion aktuell tatsächlich das Problem, das durch die breite Fächerung der Fertigkeiten und Vor/Nachteile meine GURPS-Gruppe ein Haufen Individuen sind, die eigentlich alle in andere Richtungen wollen. Und da es ja alle gute Rollenspieler sind gibt es für die Charaktere keinen Grund mit den anderen zusammenreisen, nur weil die Spieler befreundet sind.

Hätte ich am Anfang gewisse Charakterkonzept nicht zugelassen hätte ich das Problem jetzt nicht. Auch meine heißgeliebte Einzel-Charaktererschaffung ( Nur der Spieler und ich ) ist dem ganzen sicher nicht zuträglich gewesen...

Ich hoffe, das war jetzt nicht am Thema vorbei...

( Setzen, Pergrin, 6 ! )
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#3
Guild Wars ist meines Erachtens nach das Paradebeispiel dafür, welche Vorteile Einschränkungen bringen:

Zunächst einmal die Charaktererstellung:
Es gibt keine verschiedenen Rassen, sondern nur Menschen. Da kann schonmal keiner mehr heulen, dass ja die Orks den Menschen in der Kombination XYZ einen 0,05%igen Vorteil hätten.
Es gibt eine Handvoll Gesichter, eine Handvoll Frisuren man kann die Körpergröße einstellen und das Geschlecht wählen. Fertig. Mehr braucht's auch nicht.
Dann levelt man seinen Charakter hoch bis Stufe 20, was eigentlich relativ zügig geht, und holt ihm "max equip" also die fortgeschrittenste Ausrüstung. Diese ist relativ günstig zu haben. Klar gibt es auch teurere Rüstungen und im Spieler-Handel auch teurere Waffen, aber die sind allesamt qualitativ nicht besser sondern haben allenfalls einen anderen Skin.
Dann die Skillauswahl: Zwar kann man theoretisch über 1000 Skills für einen Charakter zusammensammeln, aber man kann für eine Mission immer nur maximal 8 davon ausrüsten. So muss man sich einfach einen Kopf machen, wie man nun vorgehen möchte. Will man einen offensiven Charakter spielen, oder einen supportenden?
Dann sind lediglich die Städte bzw. Aussenposten "offen" (also Sammelpunkte für Spieler); die Missionsgebiete sind instanziert: In ein Gebiet passen maximal 8 Spieler und findet man mal keine Mitspieler oder möchte keine menschlichen Mitspieler mitnehmen, füllt man die leeren Slots mit NSCs auf. Darunter mag dann zwar die Effizienz leiden, aber mit viel Geduld kann auch mit denen das komplette Spiel durchspielen.
Der Vorteil liegt klar auf der Hand: Missionsziele werden einem nicht mehr von Griefern vor der Nase weggeschnappt, man wird nicht auf offenem Feld gegankt, Farmorte werden nicht belagert ..

Nein, man ist nicht "frei", aber genau das gibt einem wiederum die Freiheit, das Spiel so spielen zu können, wie man möchte:
Wenn man nicht Skillung XYZ hat, und deswegen von anderen als "NOOB" abgewertet wird, nimmt man sich NSCs mit - die klagen nie. Wenn man irgendwo einfach mal stehen bleiben möchte, um die virtuelle Landschaft zu genießen, kann man dies machen (sollte man aber nicht, wenn man mit anderen menschlichen Spielern spielt..). Wenn man nicht durch das Spiel durchhetzen möchte, muss man das nicht, sondern kann in seinem eigenen Tempo spielen.

Ein weiterer Vorteil dieses Systems ist es auch, dass es in Guild Wars eben möglich ist, die Geschichte durchzuspielen.
Bzw. die verschiedenen Geschichten - inzwischen gibt es ja ganze 4 Kapitel.
Und wer die Haupthandlungsstränge durchhat, kann sich immer noch um die unzähligen Nebenhandlungen kümmern. Oder er kümmert sich mal so zwischendurch um eine dieser Nebenhandlungen.
Oder man spielt PVP.
Oder man sammelt Skills.
Oder man nimmt an einem der zahlreichen Events teil, die immer mal wieder aufkommen (zu Weihnachten, zu Silvester, zu Halloween, usw ..)
Oder man erkundet die Karte.
Oder man versucht, die verschiedenen Titel voranzubringen.
Oder man spielt das ganze nochmal im "Hard Mode" durch (=Gegner sind stärker).
Oder .. oder .. oder ..
Und das alles mit der Freiheit, nicht frei sein zu müssen!
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#4
Hm, da ist tatsächlich was dran, dass Freiheit manchmal zu nicht funktionierendem Spiel führen kann, wenn man Fehler macht. Aber generell finde ich als Spieler schon gut, möglichst viel Freiheiten zu haben.

Am besten finde ich es mittlerweile, wenn alle Rahmenbedingungen vor dem Spiel besprochen werden und auch entsprechend auf den Plot und zueinander passende Charaktere vohanden sind. Dann klappt das mit dem Abenteuereinstieg auch automatisch. Ich weiß nicht inwiefern du eine Vorbesprechung der Spielmöglichkeiten als Einschnitt in die Freiheit siehst.

Ich glaube aber, dass die Nachteile durch zu viel Freiheit stark von der tatsächlichen Erwartung ans Spiel und von den Spielern abhängig ist. Die Frage lässt sich sicherlich einfacher beantworten, wenn es um eine konkrete Spielsituation geht statt eine völlig theoretische, allgemeine Betrachtung anzustellen.

Ehron, als wie frei würdest du denn zum Beispiel unsere TRAUMA Imperium-Runde bezeichnen?

Ich glaube auch, dass hier zwei verschiedene Probleme von Freiheit aufgetaucht sind.
Ehron hat von einer Beschneidung der Freiheit im Plot durch den Spielleiter oder das Programm gesprochen. Bei Harlequin ging es teilweise auch um eine Beschneidung der eigenen Freiheiten durch andere Spieler (weil sie gemeine Sachen tun), die aber durch ihren Ersatz mit NSCs eliminiert werden können, um zu einem angenehmeren Spiel zu kommen.
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#5
(15.09.2010, 11:45)Pergrin schrieb: Einzel-Charaktererschaffung ( Nur der Spieler und ich )
Das ist etwas, das ich mir seht schnell abgewöhnt habe.

(15.09.2010, 18:07)HarleQuin schrieb: Guild Wars ist meines Erachtens nach das Paradebeispiel dafür, welche Vorteile Einschränkungen bringen:
Ganz im Gegenteil. Was Du da als Einschränkungen bezeichnest, ist eher eine ellenlange Auflistung von Möglichkeiten die man hat. Guild Wars macht ziemlich viel, aber es schränkt den Spieler nicht ein. Und selbst wenn man nicht über Level 20 steigern kann, muss man immernoch Monster moschen um XP für Skills zu sammeln. Das führt dazu, dass man hunderte Stunden farmt ohne die Story anzufassen, was eine Bestätigung der These ist. Weder geschlossene Instanzen noch Levelcap sind eine Einschränkung der Spieler bei ihrer Handlungsfreiheit.

(15.09.2010, 18:12)Niceyard schrieb: Hm, da ist tatsächlich was dran, dass Freiheit manchmal zu nicht funktionierendem Spiel führen kann, wenn man Fehler macht. Aber generell finde ich als Spieler schon gut, möglichst viel Freiheiten zu haben.
Die These besagt nicht, dass es nur einen Weg ohne Abzweigungen geben soll. Es geht darum, die richtige Balance zu finden und den Spielern störende Freiheiten zu nehmen, ihnen aber genügend Freiheiten zu lassen.

Ein gutes Beispiel ist zum Beispiel die Warhammer-Runde die ich auf dem CDLS geleitet habe. Das Abenteuer hat Euch räumlich eingeschränkt, da Ihr das Anwesen im Wald nicht verlassen konntet. Das eine mal das einer der Spieler das Anwesen verlassen wollte, habe ich ihn darauf hingewiesen, dass er sich damit aus dem Plot katapultiert. Innerhalb dieser Einschränkung hattet Ihr viele Freiheiten.

Zitat:Am besten finde ich es mittlerweile, wenn alle Rahmenbedingungen vor dem Spiel besprochen werden und auch entsprechend auf den Plot und zueinander passende Charaktere vohanden sind. Dann klappt das mit dem Abenteuereinstieg auch automatisch. Ich weiß nicht inwiefern du eine Vorbesprechung der Spielmöglichkeiten als Einschnitt in die Freiheit siehst.
Eine Vorbesprechung macht meiner Meinung nach keinen Unterschied. Die Einschränkungen sind vorhanden, egal ob es alle wissen oder nicht oder ob alle zugestimmt haben.

Zitat:Ich glaube aber, dass die Nachteile durch zu viel Freiheit stark von der tatsächlichen Erwartung ans Spiel und von den Spielern abhängig ist. Die Frage lässt sich sicherlich einfacher beantworten, wenn es um eine konkrete Spielsituation geht statt eine völlig theoretische, allgemeine Betrachtung anzustellen.
Da gebe ich Dir Recht.

Zitat:Ehron, als wie frei würdest du denn zum Beispiel unsere TRAUMA Imperium-Runde bezeichnen?
Spontan würde ich sagen, Du hast eine gute Balance gefunden. Einerseits haben wir alle Freiheiten die wir brauchen um uns auszutoben, andererseits habe ich das Gefühl, dass wir so weit eingeschränkt sein, dass wir uns nicht aus versehen aus dem Plot blasen. Sobald es ruhig wird passiert irgendetwas. Selbst wenn wir wollten, hätten wir dadurch wahrscheinlich nicht die Freiheit, einfach mal nichts zu tun, die Füße hochzulegen und Trainingspunkte fürs an die Wand spucken zu sammeln. Dafür treibst Du den Plot zu sehr voran. Und das ist auch gut so. Wink
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#6
(15.09.2010, 19:33)Ehron schrieb: Eine Vorbesprechung macht meiner Meinung nach keinen Unterschied. Die Einschränkungen sind vorhanden, egal ob es alle wissen oder nicht oder ob alle zugestimmt haben.

Okay, akzeptiert. Man kann es als Einschränkung bezeichnen, aber ich nehme es nicht so wahr wie ein plötzlich auftauchendes "Nein" im Spiel. Absprachen vor dem Spiel sehe ich nicht als wirkliche Einschränkung meiner Spielerfreiheit, weil man da eigentlich noch gar kein Spieler ist und man in Ruhe drüber sprechen kann und nicht mitten im Spielfluss gegen eine Wand läuft. Schließlich ist die Wahl des Spiels so gesehen immer eine Einschränkung der Freiheit, auch bei maximal freien Spielen.

Also besonders unangenehm empfinde ich Einschränkungen der Freiheit während des Spiels.
Es geht mir im Prinzip vor allem um folgenden Punkt: Angenommen der SL hat ein Handlungsgeflecht im Abenteuer vorgesehen, das zwar eine Menge Entscheidungsmöglichkeiten zulässt und nicht eingleisiges Spiel vorsieht, aber trotz der vielen Optionen hat einer der Spieler eben doch eine Idee, die gut, sinnvoll und plausibel ist, aber grundlegend nicht in das vorgeplante Handlungsgeflecht passt. In diesem Fall bin ich inzwischen eher ein Freund, die Option aus dem Stegreif zuzulassen statt sie irgendwie zu verhindern. Motto: "Die coolere Idee gewinnt, egal von wem sie kommt."

Und über die freie Entscheidung hinaus, geht es bei dem Thema vielleicht auch um die Ermächtigung der Spieler, ebenfalls mal etwas relevantes zur Geschichte hinzufügen zu dürfen (Player-Empowerment). Das bezieht sich meines Wissens auch immer aufs Spiel und nicht auf die Vorbesprechung was man spielt.

Entscheidungsfreiheit stellt prinzipiell einen viel höheren Anspruch an den Spielleiter. Wenn dieser das im Griff hat, die Story trotzdem zum tollen Rollenspielerlebnis zu machen, bin ich ein absoluter Freund davon. Wenn er es nicht im Griff hat, nehm ich als Spieler lieber weniger Freiheit in Kauf - ungern, aber meinetwegen auch Railroading.
Die Frage dabei ist nur, können die Spieler und der SL immer so gut einschätzen, was der SL noch im Griff hat. Jedes freie Rollenspiel ist daher wohl ein spannendes Experiment.
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