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Das "andere" Rollenspiel
#11
Ein Wort zur Wechselwirkung sozialer Strukturen und persönlicher Skills. Wie schon gesagt, sind beides eigenständige Faktoren, die sich nicht gegenseitig aufheben. Ein Beispiel mag das illustrieren.

Unser Baron hat im Dorf den Hierarchielevel 4 (je höher, desto besser). Dieses Level hat er geerbt. Sein Durchsetzungsmotiv ist hingegen dürftig ausgeprägt, hier hat er nur einen Wert von 1 (je höher, desto stärker). Der Baron interessiert sich einfach nicht für Politik und Menschenführung. Seine Leidenschaft ist die Jagd. Im Dorf gibt es einen Wirt, der in der Hierarchie auf der 2. Stufe steht. Das ist einer, der die Leute gut zu lenken versteht, sein Durchsetzungsmotiv ist 3. Diese beiden Personen bilden einen Kontrast zwischen "wichtig, aber unfähig" und "unwichtig, aber fähig". Beim Erntedankfest geraten die beiden in einen Disput. Die Bauern finden, dass der Baron zu viel der Ernte für sich behalten hat und dafür zu wenig Gegenleistung gewährt. Der Wirt trägt diese Beschwerde heran. Der Baron sieht es nicht ein. Es gibt ein kleines Wortgefecht. Der Baron verweist auf seine Position und das damit verbundene Recht, die Steuerlast festzulegen. Der Wirt ignoriert den Hinweis auf die Hierarchie (wer oben ist, hat Recht) und redet den Baron aufgrund seines hohen Durchsetzungsmotiv in Grund und Boden. Der Wirt kann seine Argumente besser darstellen, die Menge jubelt ihm zu.

Die Situation endet damit, dass der Baron sich in sein Landhaus zurückzieht. Der Wirt hat das Gesprächsduell gewonnen, obwohl er in der Hierarchie deutlich schlechter dasteht. Persönliche Skills waren dafür ausschlaggebend. Wie geht es aber weiter? Nun, der Wirt kann die Steuern nicht senken. Sein Sieg hat in dieser Hinsicht keine direkte Wirkung. Er hat mehr Sympathien im Dorf. Er hat sich aber auch zum Feind des Barons gemacht (ehemals positives Verhältnis ist jetzt im Minusbereich). Und weil er jetzt den Baron zum Feind hat, distanzieren sich die Dorfbewohner ein bisschen von ihm, denn sie wollen den Baron nicht auch zum Feind haben. Sie distanzieren sich, obwohl sie den Wirt sympathischer finden. Die sozialen Beziehungen haben sich aufgrund des Konflikts also geändert. Zusätzlich wird der Baron handeln. Er war unfähig, das Gesprächsduell zu gewinnen und das nagt an ihm. Er wird aufgrund seiner Hierarchie gute Möglichkeiten für Rache finden. Vielleicht ist die Tochter des Wirts beim Baron als Magd eingestellt und er wirft diese auf die Straße. Vielleicht hat der Wirt einen jungen Sohn. Der Baron empfiehlt einem befreundeten Ritter, den Wirtssohn in die Armee des Herzogs einzuziehen. Das wäre ein schwerer Schlag für den Wirt, steht doch dem Herzog ein Krieg kurz bevor. Der Baron kann auf einen Händler Einfluss nehmen, dass dieser den Wirt zu größeren Preisen beliefert. Oder er kauft dem Händler selbst alles ab, so dass der Wirt seinen Gesöffvorrat nicht auffüllen kann. Der Baron braucht das viele Gesöff natürlich nicht selbst, er schadet damit lediglich dem Wirt, der jetzt nichts auszuschenken hat und Einnahmenverluste hinnehmen muss. Der Baron macht das vielleicht so lange, bis der Wirt zu ihm kommt und auf Knien rutschend um Vergebung bittet. Dann kann ihm der Baron das gelagerte Gesöff zu überzogenen Preisen überlassen. Wenn das keine Lektion ist.

Man kann also einen Sieg aufgrund seiner Skills erringen. Man kann einen Sieg aufgrund seiner sozialen Position erringen. Sich nur auf seine Skills zu verlassen ist aber gefährlich, weil die soziale Position langfristig größere Power hat. Als Spieler ist man gut beraten, Skills und Hierarchie gleichermaßen im Blick zu haben. Wenn der Wirt schlauer wäre, hätte er zwischen Baron und Dorf vermitteln können. Mit seinem Talent in Überzeugung hätte er die Dorfbewohner von der Notwendigkeit der hohen Steuer überzeugen und sich so beim Baron für höhere Dienste empfehlen können.
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#12
Ich mag Deinen Ansatz. In der Tat ist es oft schwer verständlich warum der ehrenwerte Priester und der bedeutende Magier auf Reisen eine Aufgabe übernehmen die häufig im Gegensatz zu ihren sozialen Aufgaben steht. Zudem arbeiten sie mühelos mit kleinkriminellem Gesindel und unehrlichen Personen zusammen ohne dass die Auswirkungen auf den Charakter bedacht werden. Besonders grausam empfinde ich die Egalisierung der „Helden“, sprich dass der Taschendieb dieselben Rechte und Entscheidungsmöglichkeiten haben soll wie der Priester.
Statt sie ohne Rücksicht auf Verluste durcheinanderzuwerfen bietet es sich an die Charakter aufeinander abzustimmen. Wir hatten auf der Wolke eine entsprechende Runde (mit Fermate als Leiterin), allerdings war der Verschmelzungsgrad der Personen nicht so hoch wie Du es beschreibst.

Allerdings kann es interessant sein Personen von verschiedenen Ebenen Gruppen bilden zu lassen. Es ist dann natürlich Aufgabe des Leiters jedem Charakter eine entsprechende Aufgabe zu geben. Um bei Deinem Beispiel zu bleiben:
Der Ritter nimmt an einem Turnier teil. Langweilig für den Knappen und das Weib, es sei denn der Knappe muss den reibungslosen Ablauf sicherstellen (Ausrüstung bereithalten, Nachschub organisieren, …) während die Magd dem Knappen der Konkurrenz den Kopf verdreht. Mal schauen wie weit dessen Ritter ohne Schild kommt! Natürlich nicht sehr heldenhaft, aber eben notwendig für den Turniersieg.

Ein wesentliches Problem ist meines Erachtens dass die Spieler nicht im Sinne des Charakters sondern in ihrem Sinne handeln. Der Wirt ist in der Welt aufgewachsen, der Spieler hingegen stammt aus einer anderen Welt / sozialen Stellung und wurde aus dem Nichts in die beschriebene Situation geworfen.
Daraus resultiert zum einen die obengenannte Egalisierung der Helden (da wir alle gleich sind müssen es die Helden auch sein). Zum anderen handeln deswegen die Charaktere direkt unrealistisch. Der Wirt würde sich nicht auf ein direktes Wortduell mit dem Baron einlassen da ihm die genannten Konsequenzen klar sind. Der Spieler schon, denn er hat keine Konsequenzen zu befürchten und falls doch war der SL ein Spielverderber.
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#13
Beral, deine Argumente bezüglich der Hierarchie sind überzeugend.
Es gibt sehr viele Führungsverhältnisse, die mit verschiedenen Faktoren zu tun haben. Da gibt es eine große Spanne von erfolgreichen Konzepten.

Ich würde übrigens nicht sagen, dass eine Abneigung gegen Hierarchie immer mit Pubertät zu tun haben muss. Immerhin gibt es die Diskussion um flache Hierarchie (damit ist die möglichst große Abwesenheit von Hierarchie gemeint) in Betrieben in Deutschland schon seit den 90ern. Die wird ja auch nicht von Pubertierenden geführt, sondern weil moderne Menschen eine immer größere Abneigung gegen Hierarchie haben. Das ist vermutlich eine Folge der höheren Bildung, denn wer mehr Durchblick hat, will auch mehr mitgestalten.

Eine Möglichkeit, sich der Hierarchie zu entziehen muss nicht immer in Eigenbrötlertum münden. Beratertätigkeit ist z.B. auch eine Möglichkeit.
Außerdem gibt es in der modernen Gesellschaft auch sehr viele Strukturen, die mit Hierarchie nicht unbedingt etwas zu tun haben.
Wenn z.B. ein Unternehmen etwas bei einem anderen Unternehmen bestellt, dann ist nicht immer klar, wo hier die Hierarchie liegt. Eventuell fühlen sich beide Chefs als der Überlegene. Es gibt sehr viele Beispiele in der Realität, wo eine hierarchische Durchführung mehr mit Pubertät (bzw. schlechten menschlichen Eigenschaften) zu tun hat, als die Abkehr davon.
Letztenendes geht es in dem Spiel ja um Macht. Und dieses Thema ist vielschichtiger, als man es vielleicht vermuten würde. Da geht es nicht nur um die ethische Beurteilung von politischen Zielen, sondern auch darum, wie einflussreich Macht überhaupt sein kann gegenüber anderen Gesetzmäßigkeiten, die sich hierarchischen Einflüssen entziehen (z.B. Gesetze der Ökonomie, Bedürfnisse usw.).
Auch wenn man in einem Spiel Hierarchie in aller Reinheit umsetzen möchte, sollte man beim Designprozess jedenfalls vor allem zu Beginn im Auge behalten, dass sie nicht die einzige Heldin auf der Weltbühne ist.

Aber zurück zum Kern:
Die Überlegungen, die du anstellst sind ja letztenendes ein Modell einer Sichtweise der Realität.
Allerdings müsste eben aus diesen Ideen ein Spiel gemacht werden, das gut ist.
Das betrifft einerseits die elegante Funktionalität aber eben auch der Bick auf die Zielgruppe (da würde ich vorerst nicht zu reaktionär vorgehen, weil man sich sonst zu sehr gegen eventuell dach ganz gute Ideen sperrt).
Bei dem Beispiel mit dem Baron und dem Wirt wollte ich jedenfalls keine der beiden Seiten spielen. (Du erinerst dich vielleicht an meinen Kommentar über positives konstruktives Spiel.)

Ich glaube ich kann gar nicht oft genug betonen, wie wichtig es ist, gleich zu Beginn die Gedanken in Richtung konkreter Umsetzung schweifen zu lassen. Sonst muss man sich fragen ob man lieber ein Spiel entwickeln möchte, oder es doch eher nur um eine philosophische Diskussion ohne Ziel geht.
Es gibt ja bereits ein paar zarte Ansätze wie z.B. den Hierarchielevel. Allerdings sollte man sich mal Gedanken machen, was das im Spiel überhaupt bedeuten soll, sprich auf was sich dieser Level beziehen soll. Im Prinzip läuft es am Anfang meistens darauf hinaus, eine Stichwortliste anzulegen, welche Inhalte in dem Spiel überhaupt Relevanz haben sollen. Jedenfalls ist das die erfolgreichste Methode, die ich kenne. Und es wäre auch unabdingbar, wenn mehrere Leute sich beteiligen sollen, damit man überhaupt weiß, um was es geht.

Oder habe ich das völlig falsch verstanden und du möchtest gar kein Spiel entwicklen?
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#14
Das Beispiel mit dem Baron und dem Wirt sollte deutlich machen, dass Skills ihre Power haben, und sich bei Bedarf auch gegen die Hierarchie durchsetzen können, zumindest kurzfristig. Solche Dreistigkeiten gegenüber klar höhergestellten Obrigkeiten sind mir aus eigener Spielerfahrung häufig bekannt. Das hängt damit zusammen, dass die soziale Seite in den gespielten Systemen nicht abgebildet ist. Genau das soll im "anderen" Rollenspiel nicht mehr vorkommen. Es wird möglich sein, aber aufgrund der sozialen Regeln werden die Spieler ihre Chars nicht in die Situation des Wirts hineinmanövrieren.

(08.01.2012, 08:53)Niceyard schrieb: Auch wenn man in einem Spiel Hierarchie in aller Reinheit umsetzen möchte, sollte man beim Designprozess jedenfalls vor allem zu Beginn im Auge behalten, dass sie nicht die einzige Heldin auf der Weltbühne ist.
Jup. Ich habe viele Aspekte im Kopf, die sogar aufeinander angewiesen sind, um vernünftig zu funktionieren. Mein Problem ist, das überaus komplexe und vielfältige Ideengebilde zu kommunizieren. Es sind schon mehrere lange Beiträge nur für Hierarchie draufgegangen, dabei ist das nur ein Baustein unter vielen. Für euch kann das schon so aussehen, als ob es nur die Hierarchie geben soll. Ich kann da nur an die Geduld appelieren. Ein komplexes Charaktermodell kommt noch. Überlegungen zu einem Weltprozessgenerator kommen noch.

(08.01.2012, 08:53)Niceyard schrieb: Bei dem Beispiel mit dem Baron und dem Wirt wollte ich jedenfalls keine der beiden Seiten spielen. (Du erinerst dich vielleicht an meinen Kommentar über positives konstruktives Spiel.)
Kannst du ein anderes Beispiel anführen, so wie es dir gefallen würde?

(08.01.2012, 08:53)Niceyard schrieb: Ich glaube ich kann gar nicht oft genug betonen, wie wichtig es ist, gleich zu Beginn die Gedanken in Richtung konkreter Umsetzung schweifen zu lassen. (....)
Es gibt ja bereits ein paar zarte Ansätze wie z.B. den Hierarchielevel. Allerdings sollte man sich mal Gedanken machen, was das im Spiel überhaupt bedeuten soll, sprich auf was sich dieser Level beziehen soll. Im Prinzip läuft es am Anfang meistens darauf hinaus, eine Stichwortliste anzulegen, welche Inhalte in dem Spiel überhaupt Relevanz haben sollen. Jedenfalls ist das die erfolgreichste Methode, die ich kenne. Und es wäre auch unabdingbar, wenn mehrere Leute sich beteiligen sollen, damit man überhaupt weiß, um was es geht.
Gib ein paar Stichpunkte, die für dich interessant sind. Dann weiss ich, wie du es meinst.
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#15
Ich werde dann mal warten, bis sich etwas konkretes auftut.

Das Stichwortbrainstorming zu Beginn einer Spieleentwicklung dient einfach nur dazu, aufzuzählen, was im Spiel thematisiert werden soll, bzw. eventuell auch was nicht.
Beispiel 1: Mittelalter
- Handel
- Politik
- Adlige und Ritter
- Dörfer, Städte, Märkte, Burgen
- Würfeln
- Spielbrett mit Herzogtümern und Ansiedlungen
- kein Familien- oder Nachkommengedöhnse

Beispiel 2: Moderne
- Politiker
- Parteien
- Konzerne
- Mega-Städte
- Macht
- Verträge
- Geheimagenten oder Geheimgesellschaften
- Aktien und Stimmen
- Information und Attentate

Tatsächlich sollten diese Brainstormings viel detaillierter sein und münden dann eventuell irgendwann in eine Mindmap oder so was, oder sie sind es von vornherein.

Ansonsten zu positivem und konstruktivem Spiel:
Gemeinsam größere Ziele verfolgen. Z.B. als erster das Atlantikkabel verlegen, zum Südpol kommen, zum Mars fliegen oder eine Epedemie bekämpfen, eine Firma, eine Sportmannschaft oder einen Präsidentschaftskandidaten nach oben bringen. Mit oder ohne Konkurrenz. Aber auf jeden Fall ohne andauernd jemand restlos in die Pfanne zu hauen, weil er zufällig auf dem Weg steht und falsch guckt.
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#16
Habe über das Feedack nachgedacht und fasse die bisherigen Ideen zusammen.

- Es wird ein großes Regelsystem geben, das aus mehreren Teilsystemen besteht. Die Teilsysteme interagieren miteinander. Die Teilsysteme sind eigenständig (das eine ist durch das andere nicht ersetzbar).

- Teilsystem 1) Beziehungen. Jede Beziehung erhält einen Wert zwischen -5 und +5. Die Werte bedeuten in etwa folgendes:
5) Eltern-Kind-Beziehung; Seelenverwandtschaft
4) Ehe, enge Familienangehörige
3) Enge Freunde, Verwandte
2) Freunde, gute Bekannte
1) Bekannte
-1) Unsympatisch; "ich sage nichts Gutes über dich"
-2) "ich sage Schlechtes über dich"
-3) "ich werde dir schaden" (es soll auf keinen Fall zum Tod kommen)
-4) "ich werde dich bekriegen" (der Tod wird in Kauf genommen, aber nicht angestrebt)
-5) "ich werde dich vernichten" (nur hier will man jemanden töten)

Jeder ist natürlich bestrebt, gute Beziehugen zu seinen Mitmenschen zu haben. Jeder ist aber auch bestrebt, für sich selbst zu sorgen. Knappe Ressourcen werden zu Konflikten und damit zu negativen Beziehungen führen, selbst wenn niemand sich negative Beziehungen wünscht. Die Beziehungen beeinflussen sich im sozialen Netz gegenseitig, wie weiter oben dargestellt. Dieses Teilsystem besitzt also eine Eigendynamik (die regelseitig noch abzuilden ist).

- Teilsystem 2) Materielle Ressourcen. Bodenschätze, Wälder, Immobilien, Geld usw. Für diese Ressourcen müssen noch Werte her. Beispielsweise Kapazität, Verkaufswert und Ertragswert. Kapazität zeigt die Größe der Ressource an. Der Verkaufswert zeigt den monetären Wert an. Der Ertragswert zeigt an, wie viel Ertrag die Ressource pro Zeiteinheit (z.B. Monat), eventuell auch pro Arbeitsperson, abwirft. Beispiel: Die Eisenerzmine des Barons ist "klein" (Stufe 1 auf einer Skala von 1-5). Sie ist 500 Goldmünzen wert. Pro Arbeiter und Monat wirft sie einen Gewinn von 1 Goldmünze ab.
Wichtig ist, die Abnutzung der Ressourcen und den Aufbau bzw. die Erschließung neuer Ressourcen konkret zu regeln. Abnutzung und Erschließung erzeugen dann eine eigene Dynamik im Ressourcensystem. Beispiel: ein stehendes Heer verbraucht Ressourcen in Form von Sold, Holz, Metall und Nahrung. Die Bauern erzeugen mit ihrer Arbeit Holz, Metall und Nahrung. Dafür muss es konkrete Werte geben. Wie genau das skaliert ist, ist noch offen. Die Verhältnisse untereinander sind noch zu recherchieren (oder willkürlich festzulegen). In jedem Fall ergibt sich daraus, dass die maximal mögliche Größe des Heeres von der Anzahl der Bauern abhängig ist. Ich höre an dieser Stelle auf. Dieses Teilsystem ist hier noch nicht vorgestellt worden, die "Zusammenfassung" artet entsprechend aus. In jedem Fall bekommt dieses Teilsystem ebenfalls eine eigene Dynamik.

- Teilsystem 3) Hierarchien. Hierarchien regeln die Entscheidungsgewalt und den Zugriff auf die Ressourcen. Sie legen darüber hinaus fest, zu welchen Leuten man Kontakt hat. Es sind, wie schon beschrieben, im wesentlichen drei Ebenen: die eigene, die über einem und die unter einem. Das Hierarchiesystem ist eigenständig. Es bildet eine eigene Facette des sozialen Miteinander ab, ebenso wie die Beziehungen (Teilsystem 1). Mit den Hierarchien verbunden ist die Frage nach Organisationen. Welche gibt es überhaupt und wie stehen sie untereinander in Beziehung? Ein Anfang für Mittelaltersetting:
- Kirche/Glauben
- Orte
- Politik
- Militär
Jede dieser Organisationen hat in sich eine eigene Hierarchie. Es mag auch Überlappungen geben, etwa zwischen Politik und Militär (der Kaiser steht bei beiden an der Spitze) oder zwischen Kirche und Ort (der Bischof ist auch Ortsoberhaupt). Das kann noch umgestaltet werden. Politik und Militär können z.B. vereinigt werden. Dafür kann ein anderes, etwa Handel hinzukommen. Das hängt davon ab, wie man das Setting haben will.

Die Hierarchien gelten innerhalb der eigenen Organisation, aber auch darüber hinaus. Man muss festlegen, wie genau. Kaiser und Papst sind etwa gleich mächtig, keiner kann dem anderen befehlen. Gleiches mag für Kardinal und Herzog gelten, für Fürst und Bischof, für Ritter und Pastor. Mit dem Handel mag es dagegen eine Verschiebung geben. Der große Handelsrat, der die Spitze der Händlerhierarchie bildet, sei etwa so mächtig wie ein Herzog. Dem Kaiser also klar unterlegen, aber sehr wohl in der Lage, Fürsten zu manipulieren. Kleinere Organisationen sind entsprechend einzuordnen. Wir bekommen damit eine Messlatte, die von der stärksten Organisation gebildet wird. Die anderen Organisationen stellen wir vergleichend daneben und erhalten so einen Überblick, wer aus Organisation A mit wem aus Organisation B auf Augenhöhe ist.

Wie genau dieser Vergleich ausfällt, ist keine Frage des Hierarchie-Teilsystems. Das Teilsystem der Ressourcen kann hier aber sehr wohl bestimmend werden. Wenn wir 70% der Bevölkerung der Kirchenleitung unterstellen und 30% der Politik, dann konstruieren wir damit einen schwachen Kaiser mit wenig Einfluss auf die Kirche. Damit erkennen wir auch eine Wechselwirkung zwischen den beiden Teilsystemen Hierarchie und Ressourcen. Da beide Systeme in sich dynamisch sind, sind die Wechselwirkungen umso aufregender. Wenn sich die Erzmine des Barons erschöpft, verflüchtigt sich zuerst die Grundlage seines Status und bei der nächsten Gelegenheit auch der Status selbst. Die Dynamik im Ressourcensystem drängt so zu Änderungen im Hierarchiesystem. Auch das Beziehungssystem tritt in Wechselwirkung. Der Herzog, dem der Baron untersteht, ist auf den Baron nicht mehr so gut zu sprechen, seit dieser seine wichtigste Ressource, die Erzmine, ausgeschöpft hat. Die Beziehung sinkt von 3 auf 2. Die Bemühungen des Barons, seine Position wieder zu stärken, werden sich wiederum in allen Teilsystemen auswirken. Er kann anfangen, den Steinbruch als neue Ressource zu nutzen. Damit wird die Ressource Steinbruch intensiver genutzt und verfällt schneller. Die Beziehung zum Herzog wird wieder besser. Die Beziehung zur Kirche wird schlechter (von 1 auf -1), weil diese den Steinbruch für den Bau einer nahegelegenen Kirche selbst braucht.

Teilsystem 4) Charakter. Der Charakter mit seinen Bedürfnissen, Zielen, Visionen und Fähigkeiten bildet ebenfalls ein eigenständiges System. Im Baron-Wirt-Beispiel wurde die Unabhängigkeit dieses Systems gezeigt. Skills können über Hierarchieunterschiede hinweg wirken. Sie können auch über Ressourcen hinweg wirken, etwa wenn ein sehr guter Kämpfer in mieser Ausrüstung einen maximal gerüsteten, aber weniger fähigen Kämpfer ausknockt. Trotzdem tritt natürlich auch der Charakter als System in Wechselwirkungen mit den anderen Teilsystemen. Hierarchieunterschiede können darüber entscheiden, ob ich meine Fähigkeiten einsetze und in welche Richtung. Der Wirt kann für oder gegen den Baron argumentieren, von den Skills her ist das egal. Der Hierarchieunterschied spricht jedoch klar dagegen, seinen Skill gegen den Baron einzusetzen. Antriebe und Fähigkeiten werden eine große Rolle spielen, wenn es darum geht, Ressourcen für sich zu erschließen. Wenn das große Hobby des Barons zufällig Geologie ist, stehen seine Chancen gut, neue Erzminen zu erschließen. Das hat dann Einflüsse auf seinen Status und seine Beziehungen.
Konkreteres zum Charakter kommt noch. Auch hier ist eine interne Dynamik geplant, damit der Charakter von sich aus Veränderungen und Aktionen anstrebt.

Alles hängt also mit allem zusammen. Weitere Teilsysteme können dazukommen. Ziel ist es, dass jedes Teilsystem in sich eine Dynamik hat. Ziel ist auch, dass die Teilsysteme unweigerlich miteinander verknüpft sind, damit keines ins Abseits gerät. Ich glaube - wissen tue ich es nicht, aber ich bin fest überzeugt - dass dieses Vorhaben, sobald es tatsächlich in spielbare Regeln gegossen ist, zu einem unglaublich lebendigen und dynamischen Rollenspiel führt.
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#17
Ich glaube auch, dass das zu einem ziemlich guten Rollenspiel werden kann.
Hört sich wirklich vielversprechend an.

Das einzige Problem sehe ich in der Buchhaltung.
Da muss während des Spiels einiges an Werten hin und hergeschoben werden.
Da braucht es wohl elegante und ausgeklügelte Regelmechansmen die vor allem auch Spaß machen.

Und diese Teilsysteme, die soll man dann beliebig weglassen bzw. kombinieren können?
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#18
Sooo, es geht weiter. Smile

Und zwar mit dem Charakter. Üblicherweise wird der Charakter durch eine Liste von Eigenschaften definiert, Attribute, Fertigkeiten usw. Das sagt uns, was ein Charakter kann, nicht jedoch, was er will. Was der Charakter will, sollte jedoch auch verregelt werden, sonst wird es im Spiel irrelevant, bzw. die Gefahr dazu ist sehr hoch. Mein Lösungsansatz sind Motive.

Motive vereinen zwei Dinge in sich: 1) Bedürfnisse, 2) Handlungskompetenzen zur Befriedigung der Bedürfnisse. Motive als Eigenschaften sind somit eine Medaille mit zwei Seiten. Wenn sie aktiviert werden, bringen sie einen Bonus ein (wegen der Handlungskompetenz). Wegen der Bedürfnisse müssen Motive aber auch aktiviert werden, sie verlangen danach. Simple Regel: Pro Spielsitzung muss jedes vorhandene Motiv aktiviert werden.

Die Motive sind:
- Kontakt (Geselligkeit, Gemeinschaft)
- Leistung (Etwas Schwieriges schaffen, etwas gut machen)
- Macht (andere beeinflussen, sich durchsetzen)
- Freiheit (sich abgrenzen, meditieren)
Was die Motive konkreter bedeuten, wie sie spezialisiert werden können, schreibe ich in einem gesonderten Beitrag. Beispielhaft sei aber schon genannt, dass ein guter Handwerker um das Leistungsmotiv kaum herumkommt, und dass man das Machtmotiv benötigt, wenn man in der Hierarchie aufsteigen will. Motive können auch von Mitspielern aktiviert werden, wenn die Situation dazu einlädt (Beispiel: in der Kneipe fordert jemand unseren machtmotiverten Ritter heraus, der Spieler möchte darauf aber nicht eingehen, weil er kein Aufsehen erregen will. Ein Mitspieler kann das Machtmotiv des Ritters aktivieren, da es zur Situation passt.). Mitspieler können auch ein Motiv aktivieren, das ich nicht habe, wenn ich mich gerade genau diesem Motiv entsprechend verhalte. Suche ich z.B. Streit, obwohl ich gar kein Machtmotiv habe, können die Spieler mein nicht vorhandenes Machtmotiv aktivieren. Das bringt mir keinen Bonus, aber einen Stresspunkt. Mit dem Stresspunkt sind wir beim nächsten Punkt angelangt.

Der zweite Faktor ist Gesundheit, der durch einen Stresspegel dargestellt wird. Je weniger Stress, desto besser die Gesundheit. Gesundheit wird regeltechnische Auswirkungen haben, z.B. als allgemeiner Malus, wenn ein kritischer Stresspegel erreicht ist oder als allgemeiner Bonus, wenn der Stresslevel schön niedrig ist.

Motive wirken auf die Gesundheit ein. Hat man seine Motive entsprechend ihrer Stärke pro Spielabend aktiviert, gibt es keinen Stress. Wir erinnern uns an das Verlangen in den Motiven, das somit gestillt wäre. Hat man es nicht geschafft, ein Motiv zu aktivieren, gibt es dafür Stresspunkte. Hat man sein Motiv durch häufige Aktivierung (z.B. weil man den Bonus brauchte) überstrapaziert, könnte es ebenfalls Stress geben.

Der dritte Faktor sind Wille und Weisheit. Sie interagieren sowohl mit Gesundheit als auch mit den Motiven. Zwischen den drei Faktoren gibt es somit eine Dreiecksbeziehung.

Wille ist eine Art innere Diktatur, man kann damit seine Bedürfnisse zum Schweigen bringen. Der Charakter verfügt damit über Selbstkontrolle. Aktiviert z.B. ein Mitspieler mein Motiv, kann ich dem mit Willen widerstehen (=störende Einflüsse abblocken). Willenspunkten kann ich außerdem als Bonuspunkte für Fertigkeiten benutzen. Der regeltechnische Charakter des Willens wird schon deutlich: es ist ein kleiner Pool von Punkten, ähnlich wie man es von Bennies und dergleichen kennt. Dieser Punktepool kann recht flexibel eingesetzt werden. Ein mittlerer Stresslevel füllt den Willenspool auf, ein hoher Stresslevel leert ihn, ein niedriger Stresslevel hat keine Auswirkungen. Das kann im Detail anders aussehen, wichtig ist nur, dass das Auffüllen des Willenspools aus den Charakterwerten heraus geschieht.

Weisheit hilft, die Situation so zu akzeptieren, wie sie ist (während Wille darauf abzielt, die Situation zu gestalten). Mit Weisheit kann man Stress reduzieren. Andere Einsatzgebiete von Weisheit sind sehr wahrscheinlich. Weisheit hat auf den ersten Blick keinen Nachteil. Ihr Nachteil besteht darin, dass sie schwer zu erlangen ist. Big Grin Weisheit kann man für seinen Char nicht einfach kaufen. Der Char muss dafür 1) in einer kritischen Situation gewesen sein, und 2) der Spieler muss diese Situation kreativ aufarbeiten. Zwischen Weisheit und Freiheitsmotiv gibt es eine Verbindung, von der ich noch nicht weiss, wie sie regelseitig dargestellt werden kann. Das Freiheitsmotiv könnte z.B. eine Voraussetzung für Weisheit sein.

In diesem Beziehungsdreieck zwischen Motiven, Selbstregulation (Wille, Weisheit) und Gesundheit fehlt noch die Balance. Es muss z.B. möglich sein, ohne Weisheit den Stress zu reduzieren. Das könnten Motive übernehmen, z.B. wenn sie am Spielabend genau entsprechend ihrer Höhe aktiviert wurden. Jede gute Nachtruhe kann den Stress ebenfalls senken.

Wichtig ist jedenfalls, dass dieses Charaktersystem eine Dynamik in Gang setzt und unterhält. Die Motivwerte verlangen nach einer passenden Aktivierung, der Stresslevel will sinnvoll gemanaged werden, Wille und Weisheit helfen beim Ausbalancieren. Indem der Spieler diese Balance wertetechnisch sucht, ist er automatisch dabei, den Charakter entsprechend seiner Konzeption darzustellen. Motive sind der Dreh- und Angelpunkt dieses Prozesses.
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#19
Hallochen!

Also ich hab mir das jezt alles durchgelesen aber was ich mir bisher nicht so recht vorstellen kann ist: Wie stellst du dir das Spielen real vor? Einige Rollenspiele haben ja so eine Einleitung wo wörtlich eine Spielsession rezitiert wird.

SL: "Ihr steht vor einer Tür,..."
S1: "Ich trete die Tür ein und bring alles um was dahinter ist."
SL: "Gut, alle Kaninchen im Stall sind nun tod"
S1: "Erfahrungspunkte?"
SL: "???"

Wie stellst du dir das für dein Spiel vor?
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#20
Ja, ein Beispiel fände ich auch toll. Das klingt ziemlich kompliziert und auch etwas arg unausgegoren (wahrscheinlich weil ich es nicht richtig verstanden habe).
Bemalte Minis 2013: 39 • 2014: 23 • 2015: 58 • 2016: 44 • 2017: 104 • 2018: 5 • 2019: 122 • 2020: 140 • 2021: 52 • 2022: 231 • 2023: 49...
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